Dienstag, 7. März 2017

Leben am Limit

Der erste Tag ist ja bekanntermaßen immer etwas schwierig. Nicht anders erging es uns, als wir am Donnerstag das Tor zum Krankenhaus durchschritten. Nach anfänglichem Hin- und Hergelaufe wegen organisatorischen Problemen gelangten wir beide in unsere Abteilungen (hier eine kurze Wiederholung für die nicht ganz so treuen Leser: Lion ist in der Pädiatrie und ich in der Inneren Medizin untergebracht), wo wir erst einmal die „Strukturen“ kennenlernen (und uns im Laufe der nächsten Tage damit anfreunden) mussten.

Bei mir läuft es folgendermaßen ab:

8:00: Morning conference: hier mussten wir aber nur einen Morgen verbringen, um uns (wie ungefähr 15 andere Internationals am selben Tag) vorzustellen
8:30: Morning presentiation: Ein Assistenzarzt oder Intern muss einen Vortrag über ein medizinisches Thema halten, danach wird er förmlich von den Oberärzten zerlegt, die lauter Fragen stellen, auf die sie die Antwort schon kennen und die der Vortragende meistens nicht beantworten kann. Ein Highlight ist auch unser Chef, ein Inder mit Turban, der eine Koryphäe aus einem Army Krankenhaus in Indien ist, dort Anfang der 80er berentet wurde und nun Chefarzt der Inneren Medizin im Dhulikhel Hospital ist. Ihn kann ich leider immer gar nicht verstehen (meine Vermutung ist, dass das Band des Turbans eine deutliche Aussprache verhindert, aber das ist wie gesagt eine persönliche Meinung).
gegen 10:00: Wards (=Station): Jetzt folgt eine Visite auf Station, in der die Ärzte und Interns in drei Gruppen unterwegs sind. Momentan laufe ich mit Unit 3 mit, wir haben die Gastroenterologischen Fälle.
gegen 11:00: Meistens folgt nun ein Frühstück in der Kantine
gegen 11:30: OPD (=Ambulanz): Hier werden Patienten aufgenommen, untersucht, zu weiteren Untersuchungen geschickt. Ein paar Punkte dazu, damit man sich das Ganze auch vorstellen kann:
Im GI-OPD sitzen drei Ärzte in einem Zimmer, jeder davon empfängt Patienten, dh. es sind teilweise wirklich viele Leute in einem Raum, Privatsphäre gibt es eigentlich nicht, auch nicht bei der körperlichen Untersuchung (im Raum steht eine Liege).
Jeder Patient trägt eine Tüte mit sich, in der sich alle medizinischen Befunde, etc. befinden. Auch die Anamnese, Diagnose, Verschreibungen, sowie das weitere Vorgehen werden in ein DINA5-Heftchen eingetragen. Die meisten haben noch eine zweite, kleinere Tüte dabei, aus der sie dann hundert verschiedene Blisterpacks mit Medikamenten auspacken, die sie schon genommen haben.
Kleiner Fun Fact zu den Diagnosen: Fast jeder hier hat übrigens COPD (Chronic obstructive pulmonary disease. Unheilbare Lungenerkrankung, die früher oder später zum Tod führt. Ausgelöst durch Rauchen, Feinstaub, Smog etc.).
Punkt 13:00: Es folgt eine Stunde Mittagspause. „Mein“ Nepali Intern ruft meistens bei Lions Intern an und wir gehen alle zusammen in die Kantine, wo es ein sehr gutes Dal Bath gibt (außer freitags, da ist Momo-Tag). Da wir wirklich immer exakt eine Stunde frei machen, ist immer noch Zeit für einen Lemon Tea in einem Café gegenüber des Krankenhauses.
14-16:00: Nachmittags kommen eigentlich nicht mehr viele Patienten. Man sitzt ein bisschen herum, quatscht, etc.


Natürlich wird es euch auch genauso interessieren, wie es Lion ergangen ist, deshalb folgt an dieser Stelle ein kleiner Gastbeitrag

7.01: Aufstehen (eine sechs im Wecker wäre einfach zu frustrierend und jede Minute zählt!) – zumindest wenn wir noch duschen wollen (kalt, in der solarbetriebenen Gemeinschaftsdusche für unser Stockwerk). Sonst geht’s ne halbe Stunde später (zumindest planmäßig) aus den Federn! Danach Frühstück ganz oben in unserem Guest House (Auf die Herberge, in der wir zuerst waren beziehe ich mich nicht mehr). Meistens trifft man ein oder zwei andere internationals, schlürft Masala Tee (mit etwas zu viel Zucker und Milch für meinen Geschmack. Ich mags am liebsten pur) und isst Joghurt (Ebenfalls gesüßt. Normalen gibt’s nur für Diabetiker) und ein zwei Toasts (schmecken überraschenderweise nicht nach Zwieback, wie bisher) mit wahlweise Marmelade oder Honig. Dazu gibt’s noch Bananen (die um einiges besser, als die Importware in Europa schmecken und nur halb so groß sind!). Kling alles etwas negativ, ist aber ganz okay – hält nur nicht immer bis zum Mittagessen.

8.00: Jetzt muss Sophie gehen und ich an guten Tagen auch.

8.10: Jetzt geht sie und ich an guten Tagen auch.

8.30: Meistens gehe ich innerhalb der nächsten Minuten mit ein paar anderen (am ersten Tag z.B.: Florian, halb deutsch, halb Kiwi mit lustigem Neuseeland Akzent, mit mir in der Pädiatrie und Julia, arbeitet in der Derma, die beiden sind unsere Zimmernachbarn) zum Krankenhaus. Wenn möglich, nicht den „Standard“ Weg über vielbefahrenen, lauten und versmogten Highway (die einzige Straße nach China – Dhulikhel ist nur ca. 40km von der tibetischen Grenze entfernt – bzw. generell durch Nepal), sondern querfeldein über (manchmal etwas schlammige) Felder. Die sind sehr idyllisch und man braucht incl. Verlaufen ungefähr genauso lange.

9.00: Unser Morning meeting beginnt. Die neuen Patienten auf der Neonatologie/Intensivstation (meistens Gelbsucht, Blutvergiftung, Atemwegsinfektion) und der Normalstation (viele Atemwegsinfektionen, etwas Diabetes und ein paar Exoten) werden nuschelnd und in Nepalenglisch vorgestellt. Man versteht nichts, geht aber auch den nepalesischen Interns so. Einmal die Woche kommt der Chef (Unsympath), einmal die Woche gibt’s ne Präsentation von nem Intern (Der auch bei uns vom jeweiligen betreuenden Arzt ungespitzt in die Wand gehauen und danach noch während der Präsentation – Unterbrechungen mitten in jedem zweiten Satz sind garantiert – perfide filetiert wird. Es ist übrigens unglaublich wie vielen Ärzten von den Studenten in Präsentationsfragen psychische Störungen attestiert werden bzw. wie kreativ man den allwöchentlichen Spießrutenlauf umschreibt („toasted“, „roasted“, „killed“, „punctured by all his bullets“…), sonst folgen Visite und die Stations- bzw. OPD (Outpatient Department / Ambulanz) Aufgaben. Auch hier war erstmal viel Sitzfleisch und Geduld gefragt, aber im Laufe der Tage wurden die Ärzte zunehmend netter (Smalltalk und ein bisschen Erklären inklusive) und die Interns kümmern sich sowieso rührend um einen. Wir dürfen/können v.A. wegen der Sprachbarriere (ist in Arbeit) nichts machen, sehen allerdings viele verschiedene Patienten (bunt gemischt, aber natürlich auch die „Klassiker“ Bauchschmerz, Übelkeit, Husten) und bekommen von den Interns die Hintergründe serviert.
13.00: Ein zweites Frühstück ist bei uns leider nicht drin – das Mittagessen schmeckt dafür umso besser! Ein Königreich für jeden Vegetarier! Und wenn die Interns (bei mir Manish (Der hat mich am ersten Tag auf seinem Motorrad in ganz Dhulikhel rumgefahren und mir tolle Sachen gezeigt, uns Tags darauf sogar zum essen zu sich eingeladen. Sehr herzlich, rücksichtsvoll und zuvorkommend) und Sambawhana (mit M befreundet, laut allen außer ihr selbst „Top of the Class“, sehr vielseitig interessiert mit perfektem Englisch und ebenfalls sehr zugewandt.) das Mensaessen (z.B.: Sonntags) als schlecht empfinden geht es stattdessen in eines der vielen kleinen Restaurants nebenan. Mit Sophie und den anderen trifft man sich dann spätestens zum Zitronentee (falls das mit dem Essen an einem Tisch nicht klappt).
14.00: Auch bei uns nicht mehr viel los. Man redet miteinander und freut sich über die immer seltener eintröpfelnden wenigen Patienten. Die Interns haben in zwei Wochen „Licensing Exam“ (Arzt-Prüfung) und lernen mit uns ein bisschen. Pünktlich um 16 Uhr (und keine Minute früher oder später!) ziehen wir dann wieder ins Cafe auf nen Abschlusstee, bevor jeder seiner Wege geht. Nachmittags machen wir aber meistens noch was mit den anderen. Jetzt wieder Sophie…


Das Highlight am ganzen Praktikum bisher sind wirklich die nepalesischen PJler (=Interns), die nach der Arbeit oft etwas mit uns unternehmen und die wir wirklich schon ins Herz geschlossen haben. Sie kümmern sich auch rührend um uns: laden uns zu Lemon Teas ein, kaufen mit uns ein, wenn wir etwas brauchen, der eine hat mir seine zweite SIM-Card gegeben, weil diese überall ausverkauft waren, etc.

So, was aber machen wir nun, wenn wir nicht im Krankenhaus sind? Hier einige Einblicke:

Unser neues Guest House:
Am Samstag konnten wir nach längerem hin und her in das offizielle Guest House des Dhulikhel Hospitals ziehen. Hier leben vor allem Deutsche, aber auch ein Neuseeländer, ein paar Holländerinnen, eine US-Amerikanerin, etc.
Alle sind super nett und es ist wirklich schön, Leute zu haben, mit denen man sich über die Krankenhausstrukturen, über die Must-have-been-Plätze in Dhulikhel und über das Leben in Nepal im Allgemeinen austauschen kann. Lion und ich teilen uns ein Zimmer, was auch sehr schön ist, da wir so einiges an Gesprächsthemen nachholen oder einfach mal ein bisschen Ruhe haben können.
Wo ist der Haken, wird sich jetzt ein kritischer Leser fragen und natürlich ist diese Frage nicht ganz unberechtigt. Die größten Schwierigkeiten in Kurzform: Gemeinschaftsbad/-toilette, sehr schlechtes bis gar kein Internet, gestern ein Abend ohne jegliche Stromversorgung und ein leider nicht so sehr schöner Arbeitsweg entlang der Hauptstraße, wobei Lion anscheinend eine Alternative über die Terrassenfelder entdeckt hat.
 
Trotzdem können wir denke ich hier unseren Monat schon ganz gut verbringen.

Freunde und Ausflüge:
Unsere Hauptbezugspersonen lassen sich eigentlich gut in drei Gruppen gliedern:

1. Die nepalesischen Interns: Lion und ich haben beide Glück gehabt mit den PJlern, an die wir uns gehängt haben, denn sie sind beide ausnehmend gut innerhalb der Gruppe integriert und kümmern sich rührend um uns. Bei Manish (Pädiatrie) waren wir neulich abends sogar zum Essen eingeladen (Paneer – lecker!) und Ajay (Innere) hat uns gestern ein bisschen die Gegend gezeigt: Wir sind auf einen Hügel hinter unserem Hostel gewandert, von wo aus man eine wunderschöne Sicht auf Dhulikhel und die Umgebung hatte.

2. Die Leute vom Trekking: Am Samstag wurden wir von Sumit und Sujan mit ihren Motorrädern abgeholt und auf ging es nach Kathmandu, wo die beiden sich jeden Tag mit ein paar Freunden zum Fußball, bzw Futsal, da auf einem kleinen Feld, treffen. Dazu mieten sie eine überdachte Kunstrasenfläche, auf der es sich aber gut spielen lässt. Ich musste auch mitspielen, es war jedoch wirklich lustig. Im Anschluss wurden wir noch zum Essen eingeladen und quatschten eine Weile, bevor die beiden uns wieder zurück nach Hause fuhren.

3. Die anderen Austauschstudenten: Hier kommt man an Infos, kann aus anderer Perspektive über die Erlebnisse reden und nach der Arbeit auch mal zur Bäckerei laufen und sich einen Muffin gönnen.


Auch, wenn es manchmal doch sehr anders ist als „bei uns zuhause“ und man auf einiges verzichten muss, geht es uns hier sehr gut. Jeder Tag bringt etwas Neues, sei es im Bezug auf Socializing, einen interessanten Fall oder neue Orte, die es zu entdecken gilt. Die nächsten Projekte, um die wir uns bemühen wollen, sind auf jeden Fall die Teilnahme an einem Outreach mit dem Hospital, das heißt, man kann wohl manchmal Ärzte auf Außenposten des Krankenhauses in ländlichen Regionen begleiten, sowie das Holifestival am nächsten Wochenende, das wir aller Voraussicht nach mit den Leuten aus Kathmandu dort verbringen werden.

Aus meinem Leben – oder: noch ein Gastbeitrag von Lion.

Um das oben beschrieben etwas plastischer zu machen kommen im Folgenden noch ein paar Ergänzungen. Aus Zeitgründen (oben geht gerade eine Party ab – die Freundin unseres Haushälters/Vermieters hat Geburtstag und das Licht flackert schon wieder bedrohlich) ist das alles in Stichpunkten:

6 Tages Woche: Sonntag müssen wir (noch) arbeiten (das wollen wir natürlich ändern!). Das ist wirklich hart, der Sonntag ist sozusagen ein zweiter Montag. Und was ist schlimmer an einem Montag außer der Aussicht auf einen zweiten Montag nach dem Montag?! Außerdem kommen so unsere vielen (noch nicht geplanten) Ausflüge etwas zu kurz. Nach dem Krankenhaus kriegt man dann doch weniger gebacken, als man sich vornimmt…

Essen: Dass das sehr gut ist haben wir glaube ich schon ausführlichst berichtet. Der Kulturschock beim Essen mit Manish und den Anderen: sobald man unter sich ist, wird mit den Händen gegessen (und es gab Reis mit Sauce und Curry!). Natürlich nur mit der rechten, weil die linke ist ja unrein. Das ist gewöhnungsbedürftig, tut dem Geschmack aber keinen Abbruch. Außerdem werden uns aufmerksamerweise eh immer Löffel angeboten.

Dhulikhel: Ist alleine deswegen gut, weil es eine Bäckerei mit leckeren Keksen dort gibt. Was will man mehr?

Himalaya: den sieht man laut Reiseführer von Dhulikhel so gut wie an kaum einem anderen Ort. Uns ist das erst einmal entgangen, weil wir immer eine zu tief am Horizont gelegene Stelle danach abgesucht hatten. Man muss wirklich weit nach oben schauen – und siehe da: die Berge! Meistens ist es aber auch einfach sehr nebelig und man sieht wirklich nix. Soll im Herbst besser sein.

Gastroenteritis: Fast jeder hier im Guest House hatte schon Durchfall – Sophie und ich sind davon noch verschont geblieben! Hoffentlich bleibt das auch so.

Elektrizität: ist tatsächlich öfters mal weg oder schwankend. Kann aber auch sehr schön sein – und abgesehen von uns wussten irgendwie alle davon und haben Stirnlampen etc. dabei. Eine Kerze ist dann aber auch schon schön und die Aussicht auf die nächtiche Stadt sowieso atemberaubend. Fast genauso sehr wie die Fahrt auf den Motorrädern von Sumit und Sujan entlang der pitturesken Straße, die uns von Dhulikhel ins Kathmandu Tal geführt hat.

Musik: In nepalesichen und indischen Filmen enorm wichtig. Eine klassische Szene geht so: Ein Raum wird gezeigt, zwei Personen stehen sich wie erstarrt gegenüber. Epische Musik (z.B.: Two Steps from Hell, Fluch der Karibik, sowas halt) setzt ein. Langsamer Zoom auf sein Gesicht, bis dessen wilder Ausdruck die ganze Kamera einnimmt. Ein paar Worte werden gesprochen. Zoom out. Zoom auf ihr Gesicht, die regungslos den Zuschauer fixiert. Sie sagt ein paar Worte, neue Szene, einsetzen von epischer Musik etc. Bei Festen spielt ebenfalls Musik, hier aber wenig substanziell, maximal ziemlich langsames Getrommele (mit einem wenig voluminösen Schallkörper), während sich die Leute ziemlich minimalistisch dazu bewegen, was einen Effekt irgendwo zwischen Einschüchterung und Irritation erzeugt. Jeder, der unsere reizüberflutenden Tänze oder Blockbuster gewohnt ist, würde das alles als maximal langweilig empfinden. Bei den Nepalis kommt das aber wirklich ziemlich gut an!

Temperatur: Tagsüber ist es immer ziemlich warm. So um die 25 Grad, sonnig, windstill und klar. Aber sobald die Sonne untergeht (und auch morgens auf dem Weg zum Krankenhaus) wird es ganz schnell wirklich kühl! Wir brauchen da eigentlich immer mindestens Pulli, besser aber eine Jacke. Unser Zimmer ist zum Glück trotzdem meistens warm, worüber ich sehr dankbar bin!

1 Kommentar:

  1. "Leben am Limit"
    ein toller Artikel von Euch! Vielen Dank für die lebendigen Schilderungen!
    Auch bei mir will das Internet gerade nicht so richtig (schreibe den Kommentar gerade zum dritten mal :-)
    Bei so viel Limit, wünsche ich Euch auch Zeit für Ruhe und zumindest ein wenig Alltag in den nächsten Wochen. Ich freue mich schon auf weitere Artikel von Euch! (Ich kann euch sagen, zurück in Deutschland zu sein, ist auch einen Art Kulturschock: die Hektik, die Schnelllebigkeit, die ach so wichtigen Dinge...)
    Bitte grüßt die Interns und unsere Freunde beim Holi-Festival ganz lieb von mir!
    Wäre gerne dabei! Miss you! Be blessed and take care!

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